Die Lust aufs eigene kleine Grün

Großstädter spüren seit jeher eine Sehnsucht nach dem Landleben, nach einem Rückzugsort im Grünen. Kommt die dauerhafte Landflucht jwd nicht infrage, so gibt es in der Stadt – über Balkon und Hinterhof hinaus – die Möglichkeit, sich eine kleine grüne Oase zu schaffen: in einem Kleingartenverein. In Brandenburg an der Havel gibt es 96 Gartenkolonien mit etwa 5300 Parzellen.

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Zufluchts- und Erholungsort

 

Dass Brandenburg an der Havel, eine alte Industriestadt, als Kleingartenhochburg gilt, überrascht zunächst. Gleichzeitig liegen die Gründe dafür auf der Hand: Schon Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten Leipziger Pädagogen sogenannte Schreberplätze bzw. Schrebervereine, auf denen Fabrikarbeiterkinder spielen und turnen sollten. Später entstanden an den Plätzen Beete, die dann parzelliert und umzäunt als Schrebergärten in die Obhut von Familien gingen. Landbewohner, die in der Stadt eine Arbeit gefunden hatten, versuchten, sich in den Gärten eine gewisse Identität zu erhalten. Wuchs die Stadt, fehlte der Wohnraum und so diente das eigene Grün der Zuflucht. Erholungsort, Fluchtort, unerlässlicher Ort der Selbstversorgung – vor allem nach den Kriegszeiten. Günstig und günstig gelegen.

 

 

Ein Drittel für Obst und Gemüse

 

Sozialismus und kleinbürgerlicher Individualismus sind nicht kompatibel. So sah es zumindest die SED-Führung zu DDR-Zeiten. Versuche der Umerziehung und der Gründung einer Kleingärtner-Massenorganisation scheiterten jedoch, und so nahm man die Laubenpieper ab den 1970er-Jahren, als die Versorgung mit Lebensmitteln knapp war, in die Pflicht: »100 kg Obst auf 100 m² Kleingartenland!«, lautete die Devise. In der Republik entstanden neue Kleingartenanlagen und erhielten nicht selten Wasser- und Stromanschluss. Wer ein Stück Land sein Eigen nannte, der pflanzte also an und gab seinen Überschuss an Obst, Gemüse und Blumen bei sogenannten Ankaufstellen ab. Die eifrigen Kleinbauern erhielten dafür ein Entgelt. Das Problem: Dieser Obolus war durchaus höher als die Preise, die dafür im Laden verlangt wurden. Subventionierte Planwirtschaft, die wilde Triebe trug. Ein Drittel für Obst und Gemüse – diese Vorschrift findet sich auch heute im Bundeskleingartengesetz.

Naherholung in der Stadt
 

In der Stadt Brandenburg an der Havel gibt es einige Gartenvereine, die auf eine lange Historie blicken: Helgoland (1903), Holland (1905), Kammgarn (1905), Hoffnung (1906) und Eintracht E I (1907) zählen zu den ältesten Anlagen. Naherholung galt zu DDR-Zeiten als grundlegendes Ziel. Gerade für die schwer arbeitenden Stahlarbeiter musste ein Ausgleich her. Und dafür sollten sie nicht aus der Stadt fahren müssen. Zentrumsnahe Wasserlage ist in Brandenburg deshalb keine Seltenheit.

 

 

Laubenglück in Gefahr?

 

Kleingärten erhielten vor Jahrzehnten Protektionsstatus, den es heute zu bewahren gilt. In Berlin und Potsdam liebäugeln Investoren mit Kolonie-Grundstücken. Der Kampf um Bauflächen hat begonnen, denn Kleingärtner wehren sich. Auch in Brandenburg an der Havel ploppt immer wieder die Frage auf, was wichtiger ist: zentrumsnahen Wohnraum für Jedermann zu schaffen oder die grünen Refugien der Kleingärtner zu bewahren? Diese Frage wird Städte mit Wohnungsnot in Zukunft stärker beschäftigen.

 

 

 

Entschleunigtes Revival

 

Die Lust auf die Natur, aufs eigene Grün, wächst unter jüngeren Großstädtern, vor allem mit Kind. Denn Freizeit hat heutzutage einen anderen Stellenwert: Eine Work-Life-Balance, also das gesunde Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben, streben viele an. Zur Sehnsucht nach einer Oase fernab des Stadttrubels gesellt sich der Wunsch nach einer gesünderen Ernährung – einem bewussteren Leben. Ihre Spießigkeit haben Gartenkolonien noch nicht gänzlich abgelegt, aber langsam entsteht ein buntes Miteinander aus Gartenzwerg und Sommerwiese. Und es soll sogar junge Leute geben, die der Spießigkeit etwas abgewinnen können – heimelige Gartenlaube als Rückzugsort in Krisenzeiten. Egal, wie der Kleingarten der Zukunft aussehen wird oder wie er genutzt wird, eins ist in jedem Fall klar: Menschen suchen die Nähe zur Natur und Brandenburg an der Havel hat viel davon zu bieten.