Kunst und Kultur sind der beste Nährboden, um Menschen zusammenzubringen

Christian Heise
Im Alter von neun Jahren flüchtete der Brandenburger Christian Heise mit seinen Eltern aus der DDR über Warschau in den Westen. Dort entdeckte er seine Liebe zum Skateboarden. 2004 kehrte Christian nach Brandenburg an der Havel zurück und eröffnete einen Skateshop. Seitdem bringt der 39-Jährige in seiner Heimatstadt viele zum und eine ganze Menge ins Rollen.

Lesezeit: 11 Min.

Christian, im September 2019 warst du in Warschau. Was war der Grund deiner Reise?

Die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit veranstalteten in der Deutschen Botschaft eine Gedenkveranstaltung zum 30. Wendejubiläum. Die Organisatoren luden unter anderem ehemalige deutsch-polnische Geflüchtete ein, deren Lebenslauf in der DDR so nicht möglich gewesen wäre – und ich passte mit meiner Skateboard-Karriere und dem deutsch-polnischen Elternhaus ins Profil.

 

Du und deine Eltern gehörten zu den 6000 DDR-Bürgern, die damals in die Botschaft der BRD nach Warschau flüchteten. Warum wolltet ihr weg?

Unsere Flucht am 13. September 1989 war eine spontane Entscheidung meiner Mutter. Innerhalb einer Woche fasste sie den Entschluss in die BRD zu gehen, da der Arbeitsvertrag meines Stiefvaters im damaligen Brandenburger Stahlwerk auslief. Aufgrund seiner Herkunft hätte er anschließend nach Polen zurückkehren müssen. Dorthin wollten wir aber nicht. Meine Mutter nahm eine alte Hochzeitseinladung des polnischen Familienzweigs, entfernte das drei Jahre alte Datum, tauschte es gegen ein aktuelles aus und reichte die „neue“ Einladung bei der Visumbehörde ein. Das Ganze wurde unter anderem von der Stasi überprüft. Zu diesem Zeitpunkt begannen bereits die Flüchtlingsbewegungen gen Westen.

 

Wie war es für dich, mit neun Jahren von einem Tag auf den anderen aus der Heimat gerissen zu werden?

Krass. Nicht nur in materieller Hinsicht, denn wir ließen unseren gesamten Hausstand zurück. Ich durfte lediglich sechs Spielzeugautos mitnehmen. Verwandte, die unsere verlassene Wohnung später betraten, erzählten, dass es aussah, als würden wir in einer halben Stunde wiederkommen. Natürlich war es schwer, seine Freunde zu verlassen, die Arbeit, das Umfeld. Vor wenigen Tagen, auf meiner Reise nach Warschau, habe ich mich gefragt, wie sehr meine Eltern die DDR verabscheut haben müssen, wenn sie alles schlagartig hinter sich lassen konnten. Ein Stück weit war die DDR auch Sicherheit. Doch die Repressalien dieses Staates waren einfach zu stark – Menschen wollen Freiheit.

Ich durfte lediglich sechs Spielzeugautos mitnehmen.

Wie ging es damals weiter, als klar war, dass ihr die DDR verlassen dürft?

Wir fuhren mitten in der Nacht mit dem Auto zum Berliner Ostbahnhof. Mir wurde erzählt, es gehe in den Urlaub. Damals war ich neun Jahre alt und meine Eltern hatten Angst, dass ich mich bei den Kontrollen verplappern könnte. Fast wäre alles aufgeflogen, denn meine Mutter kaufte zuerst lediglich ein Zugticket für die Hinfahrt nach Polen. Nach einem leichten Ellenbogenhieb meines Stiefvaters korrigierte sie sich und erwarb noch eine Karte für die Rückfahrt. In der ganzen Aufregung sind wir dann auch noch in den falschen Zug gestiegen. Bevor wir aber beinahe nach Moskau gefahren wären, bemerkten wir den Fehler und wechselten rechtzeitig in den Zug nach Warschau. Nach rund 15 Stunden Zug- und einer Taxifahrt kamen wir in der Botschaft an. Dort verbrachten wir über eine Woche.

 

Kannst du das Leben in der Botschaft in Warschau beschreiben?

Für mich als Kind war das ein riesiger Spielplatz. Wir schliefen in Schlafsälen, die gefüllt waren mit Doppelstockbetten, die so eng aneinander standen, dass man nicht hindurchlaufen konnte. Es brannte immer Licht, denn die Fluktuation in den Betten war enorm. Einer schlief mal eine Stunde, der andere drei Stunden – da war es egal, dass es hell war. Ein weiteres Problem: das Essen. Damals herrschte in Polen das Kriegsrecht, die Geschäfte waren leergefegt. Alles musste für die Geflohenen über den Schwarzmarkt organisiert werden. Besorge mal 200 Liter Milch für Säuglinge über den Schwarzhandel! Es war Chaos, es gab Reibereien, mitunter flogen Gegenstände aus den Fenstern, weil die Leute emotional überfordert waren – alles Bilder, die man heute in den Schlagzeilen über Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland wiederfindet.

 

Ihr wurdet im Oktober 1989 mit dem Flieger nach Düsseldorf ausgeflogen. Wie war es, auf einmal im Westen anzukommen?

Furchtbar. In dem Moment habe ich realisiert, dass ich meinen leiblichen Vater, der von der Flucht wusste und in der Stadt Brandenburg blieb, eventuell nie wiedersehen werde. Die Flucht und das Leben in der Botschaft waren für mich als Kind bis dahin total spannend und Polen war wie Urlaub. Zu dem Zeitpunkt war ja noch nicht absehbar, dass es je ein geeintes Deutschland geben wird. Vom Fall der Mauer einen Monat später haben wir durch die Nachrichten erfahren. Es war eine sehr bewegende Zeit.

Ihr seid aber nicht in Düsseldorf geblieben.

Es war chaotisch. Zuerst kamen wir in ein Wohnheim nach Unna in Nordrhein-Westfalen. Heute noch werden dort Geflüchtete untergebracht. Die Unterkunft bestand aus vielen Gebäudeblöcken, es herrschte heilloses Durcheinander. Es war nicht der „Goldene Westen“, den man aus dem Fernsehen kannte und den man sich erhofft hatte. Anschließend fanden wir in Ahlen eine Wohnung. Dort wurde ich schulisch erst einmal von der dritten in die zweite Klasse zurückgestuft, weil man der Meinung war, dass der DDR-Lernstoff schlechter gewesen sei. In Ahlen blieb ich insgesamt elf Jahre, absolvierte dann eine Ausbildung zum Koch in Kassel und lebte dort sechs Jahre.

 

Die DDR wird teilweise verklärt, manchmal hört man: „Früher war alles besser!“ Wie siehst du das?

Das ist ein ganz großes Problem. Denn es war nicht alles besser. Wenn man im Kollektiv funktionierte, dann war vieles gut. Wenn man sich im Gegenzug allerdings falsch äußerte, dann war man ganz schnell weg. Dass Populisten im Wahlkampf jetzt Slogans wie „Vollende die Wende“ verwenden, ist für mich unerträglich, denn die Wende war ganz wichtig für Deutschland. Natürlich dauert die Aufarbeitung der Vergangenheit an, genau wie das Zusammenwachsen der Bundesrepublik, aber die Verklärung der Vergangenheit ist Augenwischerei.

 

In welchem Alter bist du das erste Mal mit dem Skaten in Kontakt gekommen?

Als ich elf Jahre alt war. Damals galt man als Exot an der Schule, wenn man aus dem Osten kam. Einige Eltern verboten ihren Kindern, mit mir zu spielen. Bei den Skatern ist es aber egal, woher man kommt, wie man aussieht und was man trägt – Hauptsache du skatest und hast Spaß. Das veränderte mein Leben. 1991 erlebte Skateboarding einen großen Boom. Mein Stiefvater nahm mich zu den Skate-Weltmeisterschaften in Münster mit. Da waren Teilnehmer aus aller Herren Länder. Das war für mich der Westen, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die Freiheit auf dem Skateboard. In diesem Moment bin ich angekommen.

Die Freiheit auf dem Skateboard. In diesem Moment bin ich angekommen.

2004 bist du nach Brandenburg an der Havel zurückgekehrt. Wieso?

Bereits Jahre zuvor merkte ich, dass mir die Heimat fehlt. Ich besuchte Brandenburg regelmäßig und lernte hiesige Skater kennen. Dadurch entwickelten sich erste Freundschaften. Das war der gleiche Effekt wie 1991 in Ahlen – mein zweites Ankommen (lacht).

 

Was waren deine ersten Eindrücke von der Stadt nach der Rückkehr?

Sie war so trostlos. Es war nicht das Brandenburg an der Havel, was man heute kennt. Ich war mir unsicher, ob ich überhaupt bleiben würde. Viele Straßennamen hatten sich nach der Wende verändert, das machte den Aufenthalt nicht leichter – ohne Stadtplan fand ich mich in den ersten Wochen nicht zurecht (lacht).

 

Was sind im Gegensatz dazu deine ersten Kindheitserinnerungen an die Stadt Brandenburg?

Meine Kindheit in der Stadt war toll. Wir haben am Neustädtischen Markt gewohnt, da waren immer viele Kinder unterwegs. Man konnte sich frei bewegen, wir waren den ganzen Tag draußen. Es war, meiner Meinung nach, eine sehr aktive Gesellschaft und immer was los. Es gab Sportgemeinschaften, Ferienlager – als Kind fühlte ich mich gut behütet. Allerdings hatte der Staat damals immer einen politischen Hintergedanken. Ich kann mich an ein Kinderfest im Schwimmbad auf dem Marienberg erinnern, da sind wir zwischen Panzern, Jeeps und Raketenwerfern umhergeturnt. Wir Kinder nahmen das als Abenteuerspielplatz wahr, heute erscheint das alles in einem anderen Licht.  

 

Wie siehst du die Entwicklung der Stadt?

Ich finde, dass Brandenburg an der Havel in der Nachwendezeit eine Menge Charme verloren hat. Die Stadt entfaltete sich in viele Richtungen ohne einen roten Faden. Dazu kam eine große Ungewissheit: Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt, wo geht es überhaupt hin mit Brandenburg an der Havel? Dies hat lange nachgewirkt. Mittlerweile hat sich in der Stadt vieles zum Positiven verändert und einiges verfestigt. Ich finde, die Stadt hat zu einem neuen Selbstbewusstsein gefunden. Viele Bürger identifizieren sich (wieder) mit ihrer Stadt, mit dem Stadtbild und der Umgebung. Dass Brandenburg schön ist und es sich lohnt, hierherzukommen, tragen sie mittlerweile nach außen.

 

Würdest du Brandenburg an der Havel als deine Heimat bezeichnen?

Absolut. Für mich ist Heimat nicht nur ein Ort, sondern vielmehr ein Gefühl, das mit der Frage verbunden ist, wie wohl man sich an diesem Ort fühlt. Wo Freunde leben, wo man seine Gewohnheiten und Hobbys ausleben kann. All das habe ich hier. Es ist in der Stadt Brandenburg unheimlich viel möglich. Man sollte nicht meckern und sich nicht mit dem abgeben, was existiert, sondern muss sich trauen und selber machen. Das verstehen immer mehr Leute.

 

Du hast durch das Skaten die Welt kennengelernt, unter anderem durch die regelmäßige Teilnahme an kanadischen Skateboard-Meisterschaften. Hast du je mit dem Gedanken gespielt, die Stadt Brandenburg zu verlassen und vielleicht sogar auszuwandern?

Eine Zeit lang hatte ich überlegt, nach Münster zu gehen, das ist aber nicht mehr aktuell. Der Wunsch nach Kanada auszuwandern, der ist allerdings präsent. Ich hätte die Möglichkeiten dort zu leben und in der kanadischen Skateboard-Industrie zu arbeiten. Vielleicht mache ich das auch irgendwann für eine gewisse Zeit. Für mich ist allerdings klar, dass ich immer wieder nach Brandenburg zurückkehren werde, denn hier ist mein Lebensmittelpunkt.

Hier ist mein Lebensmittelpunkt.

Was magst du an der Stadt besonders?

Ich schätze die Offenheit der Brandenburger. Dass jemand ausspricht, was er denkt, das habe ich in dieser Form in Westdeutschland nicht kennengelernt. Zudem hat die Stadt die perfekte Größe: nicht zu groß, nicht zu klein. Man kann alles gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen. Und man trifft immer Leute, die man kennt und mit denen man ins Gespräch kommt. Du bist nie allein hier. Das ist ein tolles Gefühl.

 

2007 hast du dein eigenes Geschäft eröffnet und verkaufst seitdem alles rund ums Thema Skateboard. Kann ein Laden für Subkulturen in Brandenburg an der Havel funktionieren?

Ich musste mir jahrelang anhören, dass so ein Geschäft hier nicht laufen wird. Wir hätten weder die jugendlichen Käufer für so etwas, noch die Kaufkraft. Selbst bei einem Gründerseminar war man dieser Meinung. Damit wollte ich mich aber nicht abfinden. So eröffnete ich meinen ersten Standort am Hauptbahnhof, der von Anfang an gut angenommen wurde. Nach einem Dreivierteljahr mietete ich dann bereits größere Räume.

Subkulturen sind auf dem Vormarsch. Mittlerweile hat die Stadt ein offeneres Ohr für solche Dinge, sie ist mitgewachsen am Bedarf der Alternativszenen, wie der Skater- und Graffiti-Szenen. Und die Klientel hat sich mittlerweile verändert: Früher besuchten introvertierte Jugendliche mit Kapuzenpullover meinen Laden, heute sind es Eltern oder Großeltern, die mit ihren Kindern kommen. Und jeder hat Lust auf Kunst. Nicht nur unbedingt auf Graffiti, sondern aufs Zeichnen, aufs Skaten, aufs Dabeisein und Rausgehen.

 

Hast du ein Rezept für diesen Erfolg?

Schlussendlich funktioniert es mit dem Skateshop nur deshalb, weil ich nicht nur im Laden sitze und darauf warte, dass die Leute hineinkommen. Ich habe von Anfang an parallel einen Onlineshop aufgebaut. Zudem muss man die Menschen bereits auf der Straße abholen. Es half, mit anderen Gewerbetreibenden und Einrichtungen Netzwerke aufzubauen, ohne kommerziellen Hintergrund, einfach um gemeinsam etwas in Bewegung zu bringen. Wenn wir lernen, positiv zu denken und zusammen an einem Strang zu ziehen, dann kann da etwas Großes entstehen. Die Graffiti-Künstler dieser Stadt etwa waren jahrelang zerstritten. Dann gab es einen Runden Tisch, an dem geklärt wurde, dass wir als kleine Stadt schauen müssen, wer wie was machen kann. Und dann haben wir nach acht Jahren eine erste gemeinsame Graffiti-Jam veranstaltet.

Wenn wir lernen, positiv zu denken und zusammen an einem Strang zu ziehen, dann kann da etwas Großes entstehen.

Du ermöglichst in deinen Projekten auch das Sprühen an legalen Flächen. Wie stehst du zum illegalen Malen?

Wir hatten in den 2000er Jahren eine richtig gute Graffiti-Szene in der Stadt, mit einem sehr hohen Qualitätsanspruch. Das lag daran, dass es eine Menge Flächen gab, an denen legal gemalt werden durfte. Dort gab es einen Austausch zwischen den Künstlern, der enorm wichtig ist, hauptsächlich aber nur an solchen Orten passieren kann. An diesen Flächen wird jüngeren Künstlern ein gewisser Ehrenkodex vermittelt, d.h. keine Bäume, neuen Häuserwände oder Kirchen bemalen … Diese Treffpunkte verschwanden irgendwann und der Austausch zwischen erfahrenen Künstlern und Anfängern fand nicht mehr statt. Dadurch sank die Qualität der Kunst insgesamt. Es wurde meines Erachtens aus einem Akt der Rebellion gegen die Stadt gemalt, nicht der Kunst wegen – nach dem Motto: „Macht ihr nichts für uns, machen wir nichts für euch“.

 

In Berlin gibt es für jede Subkultur eine Nische, die Stadt ist etwa weltweit bekannt für ihre Street-Art. Warum sollten junge Leute, die sich für solche Dinge interessieren, nach Brandenburg an der Havel ziehen?

Hier gibt es beispielsweise Raum für Ateliers. Die Stadt ist wesentlich preiswerter und man kann viel ruhiger und dadurch produktiver arbeiten. Eine Work-Life-Balance bekommt man in Brandenburg an der Havel zudem besser hin. Hier kann man nach der Arbeit prima abschalten und auch abends weggehen. Mittlerweile erweitert sich das Kulturprogramm, sodass man sich an den Wochenenden zwischen mehreren Veranstaltungen entscheiden kann. Das war früher nicht so.

 

Durch deine Skate Contests kommen Menschen vieler Nationen in die Stadt. Würdest du die Brandenburger als weltoffen bezeichnen?

Bei solchen Veranstaltungen sehe ich die Chance, frischen Wind in die Stadt zu bringen und neue Netzwerke zu schaffen. In Bezug auf die Weltoffenheit hat die Stadt zwei Seiten. Vor einiger Zeit besuchte mich ein Skater-Kollege aus den USA. Er scheiterte beim Einkaufen in der Stadt. Er wurde beispielsweise beim Bäcker nicht bedient, da den Angestellten die Bereitschaft fehlte, Englisch zu sprechen. Allerdings hatte der US-Amerikaner gar keine Probleme, sich im Dönerladen zu verständigen. Die Angestellten haben sich mit Händen und Füßen mit ihm ausgetauscht und dann klappte es auch (lacht). Wenn wir eine weltoffene Tourismusstadt werden wollen, dann muss sich noch einiges ändern.

Aber gleichzeitig überwältigt mich die Gastfreundschaft der Brandenburger immer wieder. Für den Skate Contest 2019 war ich auf der Suche nach Schlafplätzen für Besucher und Teilnehmer. Es gab eine unglaubliche Resonanz auf einen Post von mir.

 

Was wünschst du dir für die Stadt?

Ich würde mir wünschen, dass innerstädtisch ein größeres, vielfältigeres Angebot zur Freizeitgestaltung entsteht. Beispielsweise ein Skatepark oder Orte, für künstlerische Angebote. Dabei sollte die Stadt natürlich jugendliche Interessen nicht aus den Augen verlieren. Ich habe seit drei Jahren regelmäßig Besucher aus der Pfalz in meinem Laden, die der Meinung sind, hier sei es viel schöner als bei ihnen zu Hause. Wir brauchen mehr Orte, an denen Menschen von außerhalb mit Brandenburgern – egal welchen Alters – in Austausch treten können. Etwa eine richtige Fußgängerzone oder eine verkehrsberuhigte Steinstraße. Zudem müsste die Innenstadt attraktiver werden, mit mehr Cafés oder Restaurants, vor denen Leute entspannen. Das klappt in so vielen Städten. Wir hängen da leider noch etwas hinterher.

Die Stadt sollte die jugendlichen Interessen nicht aus den Augen verlieren.

 Du hast zahlreiche Orte weltweit besucht. Gibt es etwas, was Brandenburg von anderen Städten abhebt?

Definitiv das Wasser. Die Stadt besitzt allein 58 Brücken. Mittlerweile hat sich der Wassertourismus extrem entwickelt und man sieht alle Arten von Wasserfahrzeugen: Hausboote, Kanus, SUPs. Ich habe mir auch schon überlegt, in naher Zukunft ein Kajak zuzulegen (lacht). Ich habe mein Leben lang nur auf einem Brett gestanden und Sport mit den Beinen gemacht – da ich nur 600 Meter vom Wasser entfernt wohne, wäre dies eine tolle Möglichkeit, einen Ausgleich zu schaffen.

 

Apropos, was machst du, wenn du irgendwann vielleicht nicht mehr auf dem Skateboard unterwegs sein kannst?

Da habe ich schon viele Ideen. Auf jeden Fall weiter Leute vernetzen und Dinge bewegen – überall in der Stadt Brandenburg. Dafür muss sie offen sein. Und das scheint sie immer mehr zu werden. Ich möchte auch gar nicht mein ganzes Leben lang skaten. Das half mir früher, mich auszudrücken und mich in die Gesellschaft zu integrieren, aber mittlerweile verändern sich meine Interessen. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, eine Dozententätigkeit wahrzunehmen. Ich habe in der Vergangenheit viele Projekte mit Flüchtlingen gestartet, in denen ich mich aufgrund meiner Vergangenheit wiedererkenne. Dahingehend möchte ich weiterhin aktiv werden, denn Geflüchtete wird es immer geben. Wir hatten noch nie so lange Frieden in Europa, der kann aber schnell brüchig werden. Deshalb sollten wir viel mehr in den Völkeraustausch investieren: viel mehr reisen, mehr verstehen. Denn Kommunikation und Austausch sind wichtig. Und alles, was mit Kunst und Kultur zu tun hat. Das ist der beste Nährboden, um Menschen zusammenzubringen und Vorurteile abzubauen. Das macht für mich Brandenburg an der Havel aus: füreinander einstehen, füreinander da sein und etwas verändern.

 

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