Das Thema Rückkehr ist nach wie vor nicht vom Tisch

Jens Klatt
Jens Klatt ist Fotograf, Grafiker, Art Director, Autor und Vater eines vierjährigen Sohnes – vor allem aber ist er Paddler. Mit seiner Leidenschaft, die der 38-jährige Brandenburger auf dem Beetzsee entdeckt hat, ist er auch beruflich erfolgreich geworden. Für ihn steckt Brandenburg voller Potenzial – auch abseits der Nähe zu Berlin. Und voller Sehnsuchtsmomente.
Jens Klatt

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Jens, du lebst in Augsburg, bist aber gebürtiger Brandenburger und gerade auf Heimatbesuch. Wie geht es dir, wenn du in die Stadt zurückkommst?

Immer wenn ich die Elbe nach Norden überquere, merke ich, wie ich mich entspanne. Dann kriege ich im Radio langsam FRITZ rein und weiß: In einer Stunde bin ich zuhause, freue mich auf ein paar entspannte Tage bei meinen Eltern und darauf, alte Freunde zu besuchen.

Immer wenn ich die Elbe nach Norden überquere, merke ich, wie ich mich entspanne.

Warum hast du die Stadt Brandenburg verlassen?
Ich habe mit zehn Jahren beim WSV Stahl Brandenburg mit dem Paddeln angefangen und meine ganze Jugend im Verein verbracht. Irgendwann habe ich das Wildwasserpaddeln für mich entdeckt – und das geht eben nur in den Bergen. Also bin ich im Jahr 2000 zum Zivildienst nach Rosenheim in Südbayern gegangen, wo es eine ganz aktive Kajakszene gibt. Mein Studium hat mich dann nach Augsburg verschlagen – nicht zuletzt wegen der Wildwasserslalomstrecke, die dort für die Olympischen Spiele 1972 in München erbaut wurde.

 

Der Wasserreichtum ist ja auch das Aushängeschild von Brandenburg an der Havel. Was hat Augsburg, was deine Heimatstadt nicht hat?
Eine große Dichte an Wohlstandsmotoren wie beispielsweise Osram und MAN – das ist in Brandenburg an der Havel weniger ausgeprägt. Und das schlägt sich auch in der Mentalität nieder: In Augsburg gibt man für die Wochenendration Fleisch gern mal 100 Euro beim Biobauern aus. Ebenso sind die Menschen dort bereit, für ein gutes fotografisches Porträt das entsprechende Geld zu investieren. Das ist für mich als selbständiger Fotograf wichtig, weil es mir meine Art von Arbeit ermöglicht – und überhaupt von der Fotografie leben zu können. Es geht mir dabei überhaupt nicht darum, viel Geld haben oder ausgeben zu müssen. Früher fand ich es selbst cool, heimlich auf dem Campingplatz duschen zu gehen, ohne etwas dafür zu bezahlen; aber seitdem ich selbständig bin, lege ich immer eher noch fünf Euro drauf – weil ich weiß, was es bedeutet, selbständig zu sein. Es geht um ein anderes Bewusstsein für den Wert von Dienstleistungen und Produkten.

Leben am Wasser
Wassersport in Brandenburg an der Havel
Erni

Du arbeitest vor allem im Outdoorsport-Bereich und bist sowieso viel unterwegs. Könntest du deinen Beruf auch von hier ausüben?
Grundsätzlich gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Meine Auftraggeber sitzen hauptsächlich im Süden. Und wenn ich in der Szene nicht mehr präsent bin, bekomme ich weniger Jobs. Mein Vorteil war immer, dass ich den Sport, den ich fotografiere, auch ausübe. Dieser Bonus verfällt für mich hier, wo es um eine ganz andere Fotografie geht. Ich mache und fotografiere allerdings gar nicht mehr so viel Berg- und Extremsport, seit ich Vater bin, mache eher andere Sachen.

 

Für viele ist die Nähe der Stadt Brandenburg zu Berlin ein großes Plus.
Für mich ist es eher ein Minuspunkt – weil es dort schon so unglaublich viele Kreative und Fotografen gibt, dass dort ein regelrechtes Preisdumping stattfindet. Wenn du einen Job nicht machst, stehen sofort zehn Leute bereit, die ihn für die Hälfte des Geldes machen.
Außerdem finde ich, dass Brandenburg an der Havel sich nicht zu sehr auf die Nähe zu Berlin verlassen, sondern das eigene Angebot stärken sollte. Klar: Mit Anfang 20 will man die Hauptstadt erleben, aber wenn die Leute nur noch hier wohnen und schlafen, zum Arbeiten und Leben aber nach Berlin fahren, dann macht das Brandenburg an der Havel nicht unbedingt attraktiver. Die Stadt hat selbst so viel Potenzial.

Die Stadt Brandenburg hat selbst so viel Potenzial.

Was macht die Stadt für dich attraktiv?
Wenn ich über die Homeyenbrücke fahre und übers Wasser schaue, dann sehe ich den Beetzsee, diese Weite, diese Freiheit. Das weiß man – glaube ich – erst richtig zu schätzen, wenn man das Wasser nicht (mehr) direkt vor der Tür hat. Als meine große Schwester in Potsdam studiert hat, habe ich sie oft mit dem Boot besucht – das war die totale Freiheit für mich.

 

Die Landschaft im Süden hat auch ihre Reize.
Absolut – aber überall in dieser schönen Landschaft stehen Schilder: Privat, betreten verboten, … Das ist die andere Art von Freiheit, die ich dort vermisse: Wenn ich hier mit meinem Camper ans Beetzseeufer fahre, kann ich auch mal ein, zwei Nächte dort übernachten. Das ist vielleicht nicht ganz legal, aber es wird geduldet, solange ich keinen Dreck hinterlasse und mich angemessen verhalte. Wenn du in Augsburg am Ufer des Lechs Lagerfeuer machst, kannst du sicher sein, dass innerhalb einer Stunde die Polizei anrückt.

 

Hast du schon einmal darüber nachgedacht zurückzukehren?
Ja, vor fünf, sechs Jahren sogar sehr intensiv. Wir wollten etwas in unserem Leben verändern, nicht mehr direkt in der Stadt leben und haben viel darüber diskutiert, wo wir unsere Ideen verwirklichen können: Wollen wir nach Trier gehen, wo meine Frau herkommt? Oder Richtung Brandenburg an der Havel, wo ich mit dem Paddelverein immer noch einen größeren Anknüpfungspunkt habe? Auf der Suche nach einem Haus haben wir uns auch einen alten Bauernhof in Wust angesehen.

 

Warum habt ihr euch dann doch für Augsburg entschieden?
Zum einen, weil wir dort mittlerweile einen großen Freundeskreis haben, zum anderen unserer Jobs wegen. Wir hätten uns aber auch den Schritt nach Brandenburg an der Havel vorstellen können. Die Entscheidung hat schlussendlich das Haus getroffen, das wir in Augsburg gefunden haben – es hat in dem Moment einfach gepasst. Hinzu kommt, dass unser Sohn mittlerweile einen kleinen Freundeskreis in Augsburg hat, aus dem wir ihn nicht herausreißen wollen.

 

Das heißt aber, dass ihr auch in den kommenden Jahren nicht zurückkommen werdet.
Richtig. Das Interessante ist aber für mich, dass meine Sehnsucht nach der Heimat trotzdem nie verschwunden, das Thema Rückkehr nach wie vor nicht vom Tisch ist. Viele unserer Augsburger Freunde, die aus anderen Teilen Deutschlands zugezogen sind, kennen diese grundsätzliche Sehnsucht nach ihrer Heimat nicht.

Meine Sehnsucht nach der Heimat ist nie verschwunden.

Warum ist das so?
Ich weiß nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich alles, was ich mache und bin, immer mit Haut und Haaren lebe – auch Brandenburger bin ich also durch und durch. Auch nach fast 20 Jahren im Süden erkläre ich jedem, der fragt, dass ich zwar in Augsburg wohne, aber Brandenburger bin. Außerdem mag ich diesen klaren, leicht grummeligen, ständig kollidierenden Umgangston. Ich kann damit gut umgehen; aber ich bin damit auch großgeworden. Die ein oder andere neue Freundin, die die Jungs damals zu unseren Lagerfeuerabenden im Verein mitgebracht haben, ist damit nicht klargekommen – mit dem Brandenburger Gemüt, aber natürlich auch mit uns als Clique, die sich schon ewig kennt.

 

Ist es schwer, in der Stadt Brandenburg Anschluss zu finden?
Nein, die Brandenburger Clique ist total offen – aber sie verstellt sich nicht für dich. Der Umgangston bleibt der Gleiche, rau und direkt – egal ob da jemand neu dabei ist oder nicht.

 

Was müsste passieren, damit du nach Brandenburg an der Havel zurückkehrst?
Als Selbständiger muss ich mich immer wieder neu erfinden, suche neue Herausforderungen – und es gibt da sicherlich schon heute einige Anknüpfungspunkte. Aber wenn ich wüsste, dass in der Stadt Brandenburg ein paar Firmen sitzen, für die ich arbeiten könnte, wäre der Schritt natürlich einfacher. Vielleicht habe ich aber in ein paar Jahren auch einfach keine Lust mehr auf Fotografie und Grafik – und die Möglichkeit, hier einen Kanuverleih aufzumachen, etwas aufzubauen. Es muss einfach in dem Moment passen.

 

Wenn du dir etwas wünschen dürftest für die Stadt: Was wäre es?
Was ich der Stadt Brandenburg und den Brandenburgern wünsche, ist mehr Freigeist, ein bisschen Größenwahn, Mut zur Idee und etwas auf die Beine zu stellen. Das erlebe ich im Süden und auch in Berlin viel mehr. Dabei hat Brandenburg an der Havel dieses Potenzial auch – und den Raum dafür. Man muss sich nur trauen.

 

jensklattphoto.com

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