Die Stadt kann Wachstum gebrauchen

Friederike Spiesecke
Friederike Spiesecke hat mit der Agentenzentrale und dem Restaurant „Zum Bootshaus“ nicht nur das Nachtleben, sondern auch die kulinarische Landkarte der Stadt Brandenburg erweitert. Die 35-jährige Grundschullehrerin arbeitet stets an neuen Ideen, um ihre Heimatstadt weiter voranzubringen. Schließlich ist genug Potenzial vorhanden, wie sie sagt.

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Friederike, du bist gebürtige Brandenburgerin, nach deinem Abitur hast du die Stadt verlassen. Was war der Grund für den Wegzug?
Ich verließ Brandenburg an der Havel 2003 für ein gymnasiales Lehramtsstudium in den Fächern Geschichte und Politik in Magdeburg. Dort gefiel es mir jedoch nicht, die Stadt war mir zu wenig weltoffen. Zudem existierte damals kein vielfältiges Kulturangebot für Studenten. Also suchte ich dieses in Münster. Dort gab es wiederum zu viel studentisches Leben (lacht). Dann bin ich für anderthalb Jahre nach Griechenland gegangen, um als Animateurin zu arbeiten.

 

Hattest du einen Plan, wie es nach deiner Rückkehr nach Deutschland mit dir weitergehen sollte?
Eigentlich wollte ich nicht mehr studieren. Durch eine verlorene Wette bin ich jedoch nach Jena gezogen und habe dort glücklicherweise das Lehramtsstudium in Philosophie, Ethik und Geschichte beendet. Dann schlug ich meine Zelte in Berlin auf. Ich wollte damals einmal in einer Großstadt leben. In der Hauptstadt war es aber für mich nicht cool. Ich habe in Berlin gewohnt, die Stadt aber nicht gefühlt oder an ihr teilgenommen. Ich saß in meiner Wohnung und bereitete das Referendariat vor – mehr nicht.

Um runterzukommen, kehrte ich jedes Wochenende nach Brandenburg zurück.

Hast du Berlin nach dem Referendariat noch eine Chance gegeben?
Schon, ich lebte in einem tollen Kiez: Reinickendorf. Allerdings reichte die Zeit aufgrund meines Jobs nicht aus, das kulturelle Programm Berlins wahrzunehmen. Ich fühlte mich getrieben davon, ein Teil von Berlin zu sein. Denn man lebt ja dort, um etwas zu erleben.

 

Hat dir Berlin auch Orte der Entspannung geboten?
Um runterzukommen, kehrte ich jedes Wochenende in die Stadt Brandenburg zurück. Ich hatte also nie einen großen Abstand zur Heimat. Irgendwann fing ich an, mich hier erneut zu sozialisieren; die persönlichen Verbindungen wurden wieder enger. Ich merkte nicht nur, dass ich den Brandenburger vermisst hatte und dass es mir guttat, hier zu sein, sondern auch, dass die Bindung zur Stadt immer größer wurde. Nach einem längeren Aufenthalt in Brandenburg an der Havel beschloss ich dann zurück in den geschützten Hafen zu ziehen.

So ganz weg warst du also nie?
Ich bin absolut verwurzelt in der Stadt Brandenburg. Es gibt jedoch Momente, in denen ich keine Lust mehr auf die Stadt habe, und mit dem Gedanken spiele auszuwandern. Sollte ich wirklich mal ins Ausland gehen – was durchaus passieren kann –, werde ich aber definitiv zurückkehren. Ich werde nie die Verbindung zu dieser Stadt verlieren. Sei es durch meine Familie oder meine Freunde, die sich freuen mich zu sehen – auch wenn wir uns eine ganze Weile nicht treffen konnten.

Ich werde nie die Verbindung zu dieser Stadt verlieren.

Vor dem Restaurant „Zum Bootshaus“ an der Näthewinde hast du 2016 die Agentenzentrale (AGZ) eröffnet. Wie kommt man dazu, neben dem Lehrerberuf eine Eckkneipe zu eröffnen?
Seit meinem 18. Lebensjahr war ich nebenbei stets in der Gastronomie tätig. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich genügend Einblick hatte und wusste, was es braucht, damit es klappt. Das musste ich mir mit der Umsetzung beweisen. Die passenden Räumlichkeiten fand ich, als ich nach einem Gartengrundstück suchte. Mir fiel die Verkaufsanzeige im Internet auf und dann habe ich nicht lange überlegt. Die Kneipe hat mich gefunden. Die Entscheidung habe ich aber schlussendlich nicht allein gefällt. Hätten meine engsten Vertrauten nicht zugestimmt, dann hätte ich das Projekt Eckkneipe auch nicht in Angriff genommen.

 

Wie sah dein Konzept für die AGZ aus?
Die AGZ sollte von Anfang an eine Kneipe für jeden werden. Nach dem Kauf wurden dann alle meine Ideen genau an die Gegebenheiten der Räumlichkeiten angepasst. Ich wusste beispielsweise seit Jahren, welche Tapeten ich verwenden will. Die Einrichtung war also schon lange klar, ebenso welche Getränke angeboten werden würden. Und es ist genauso geworden, wie ich mir das vorgestellt habe. Vom Arzt über den Studenten bis hin zum Rentner – alle sitzen jetzt abends beisammen und stoßen miteinander an. Heute, zwei Jahre nach Eröffnung, ist es immer noch so, dass ich, wenn ich die AGZ betrete, lächeln muss.

 

Zusätzlich hast du dieses Jahr noch das Restaurant „Zum Bootshaus“ eröffnet. Wie kam es dazu?
Ich wollte ein Objekt am Wasser. Als ich gehört habe, dass das Bootshaus auf dem Markt ist, dachte ich: Gut, dann macht man das ebenfalls mal. Ich muss gestehen, dass meine privaten Fähigkeiten in der Küche nicht über das Backen hinausgehen. Durch die Eröffnung des eigenen Restaurants nahm ich im Laufe der Zeit Unterschiede in der Qualität bezüglich der kulinarischen Angebote der Stadt wahr. Früher dachte ich, jedes Essen schmeckt gleich. Mittlerweile weiß ich aber aufgrund meines Gaststättenbetriebs, auf was ich achten muss. Meine Zunge lernt langsam aber stetig dazu.

 

Hast du noch weitere Ideen für die Zukunft?
Ein Traum, den ich bisher nicht verwirklichen konnte, ist der Betrieb eines alten Fabrikgeländes, auf dem unterschiedliche kulturelle Einrichtungen zusammenkommen. Vielleicht mit einem Tanzlokal, Bars, aber auch mit Sportangeboten wie einer Skateranlage. Das schwirrt mir schon seit Jahren durch den Kopf und ich schaue immer mal wieder nach einem geeigneten Objekt. Die Ideen zu diesem Projekt reifen, bis es irgendwann so weit ist. Ich bin also noch nicht am Ende.

 

Hauptberuflich bist du Grundschullehrerin im Brandenburger Ortsteil Kirchmöser. Wie verträgt sich das mit deiner gastronomischen Arbeit?
Zumeist sehr gut. Alles muss bis ins kleinste Detail durchgeplant sein. Ich arbeite an der Schule in Teilzeit und habe einen freien Dienstag. An diesem kläre ich alles, was mit der AGZ oder dem Bootshaus zu tun hat. In der Woche liegt mein Fokus auf dem Lehrerberuf. Sobald ich jedoch merke, dass ich nicht mehr hinterherkomme, würde ich den Schuldienst für eine gewisse Zeit ruhen lassen. Schließlich habe ich eine Verantwortung den Kindern gegenüber. Ich werde ungeachtet dessen immer Lehrerin bleiben.

Der Brandenburger braucht vielleicht etwas länger als andere, aber an sich ist er sehr offen.

Kannst du die Erfahrungen, die du in einem Beruf machst, auf den jeweils anderen anwenden?
Für mich ist beides das Gleiche. Kinder sowie Kneipengänger sind ab einem bestimmten Punkt beratungsresistent. Dann sind sie laut und lassen sich nichts mehr erzählen (lacht). Darüber hinaus versuche ich Defizite, die ich bei Erwachsenen – sowohl in der AGZ als auch dem Bootshaus – sehe, bei den Kindern in der Grundschule anzugehen. Dazu gehören unter anderem Unhöflichkeit und fehlendes Einhalten von Kommunikationsregeln.

 

Du hast ständig Menschen um dich herum. Hast du auch mal Zeit für dich?
Ja, die fordere ich mir auch ein. Ich habe einen stillen Raum, in dem ich mich zu Hause nach der Schule zurückziehe. Den darf dann auch niemand betreten, solange ich dort drin bin. Diese Stunde totaler Ruhe ist für mich das Schönste, was es gibt. Mittlerweile blicke ich gelassener auf alles. Wenn ich eins aus meinen Tätigkeiten gelernt habe, dann, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt.

 

Durch das Restaurant und die AGZ hast du Kontakt zu den unterschiedlichsten Charakteren, vom feierwütigen Jugendlichen bis hin zum gemütlichen Rentner. Gibt es einen Punkt, in dem sich Brandenburger gleichen?
Wenn du einem Brandenburger zeigst, dass du es gut mit ihm meinst, dann ist er unheimlich loyal. Und wenn der Brandenburger erkennt, dass du das, was du machst, aus voller Überzeugung tust, dann kann er extrem dankbar sein. Diese Anerkennung äußert sich mit einer Freundlichkeit, die der Havelstädter sonst nicht unbedingt innehat (lacht). Eine mürrische Grundhaltung kann man einem Großteil nämlich nicht absprechen. Der Brandenburger braucht vielleicht etwas länger als andere, aber an sich ist er sehr offen.

 

Was macht für dich Brandenburg an der Havel aus?
Man fühlt sich hier sicher und gut aufgehoben. Im Gegensatz zu Berlin hat man in Brandenburg keine Angst, etwas zu verpassen. Ich mag diese Ruhe. Man hat wirklich schöne Natur um sich, in der man auch mal für sich sein kann. Ich fühle mich hier nicht gehetzt, kann aber am kulturellen Leben der Stadt teilhaben, wenn ich möchte.

Man fühlt sich hier sicher und gut aufgehoben.

Gibt es auch etwas, was du nicht magst?
Zu diesem Zeitpunkt, muss ich sagen: nein. Brandenburg an der Havel hat so viel zu bieten und eine Menge Potenzial. Hier kann man sich sehr gut selbst verwirklichen. Ich bin sogar positiv gestimmt, dass das Leben mit der wachsenden Anzahl von Kulturveranstaltungen in der Stadt zunehmen wird. Allerdings muss die Stadt aufpassen, dass sie mit diesen Veranstaltungen nicht nur Touristen anspricht, sondern auch Bewohner jeden Alters. Denn Brandenburg an der Havel kann dieses Wachstum gebrauchen. Vor allem eine weitere Durchmischung mit Zuzüglern, die offen für alles sind und kreative Ideen haben, die vielleicht sogar unterschiedliche Kulturen und Einstellungen mitbringen.

 

Auch wenn dadurch weitere Gastronomiebetriebe in der Stadt eröffnet werden würden?
Na, das wäre doch mega! Schließlich belebt Konkurrenz das Geschäft. Ich gehe selbst gern aus, finde das Angebot in der Stadt allerdings nicht ausreichend. Ab einem bestimmten Alter geht man nicht mehr tanzen, sondern setzt sich eher an einen Tresen oder an eine Bar. Dementsprechend würde ich weitere gastronomische Betriebe absolut bejahen.

 

Wo siehst du dich in zehn Jahren?
Vielleicht fange ich an zu malen und stelle aus. Vielleicht werde ich Dozentin an einer Universität oder gehe für ein Jahr weg. Genau kann ich das jetzt noch nicht sagen, irgendeine neue Idee wird sich schon auftun. Was aber sicher ist: Ich werde immer noch viel lachen. Und stets nach Brandenburg an der Havel zurückkehren.

 

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