Wir müssen die Stadt lebendig halten

Heidi Bender
Heidi Bender kann man im Grunde überall in Brandenburg an der Havel begegnen – beim Bummel durch die Boutiquen in der Innenstadt ebenso wie beim Stand-up-Paddling auf dem Beetzsee, in Gaststätten oder im Kino. Die Geschäftsführerin der kommunalen Technischen Werke hat sich die Havelstadt regelrecht erobert – und die Stadt das Herz der gebürtigen Hoffenheimerin, die ihre badische Herkunft dennoch auf besondere Art und Weise pflegt.

Lesezeit: 6 Min.

Heidi, du bist 1993 der Arbeit wegen von Hoffenheim in die Stadt Brandenburg gezogen. Warum hierher?

Ich war Ende 20 und nach meinem ersten großen Job gerade auf Reisen in Neuseeland. Meine Eltern erreichte ein Anruf aus Brandenburg an der Havel, man hätte mich dort über einen Kontakt bei den Technischen Werken Brandenburg für die Mitarbeit beim Auf- und Umbau der ehemaligen DDR-Betriebe empfohlen. Ich dachte: Brandenburg an der Havel kenne ich gar nicht – da könnte ich mal zwei Jahre hingehen. Ich habe dann in Neuseeland handschriftlich eine Bewerbung geschrieben, hergeschickt, wurde zum Juni 1993 tatsächlich eingestellt und bin bis heute dort – mittlerweile als Geschäftsführerin.

 

Erinnerst du dich an deine Ankunft in der Stadt Brandenburg?

Der Juni ist natürlich eine total schöne Zeit für Brandenburg an der Havel – ich war begeistert von dem vielen Grün und vor allem von der Nähe zum Wasser. Bei uns musste man bis zum nächsten Badesee mindestens 30 Kilometer fahren – hier war er direkt vor der Tür. Ich weiß allerdings auch noch, wie überrascht ich war, dass am Havelufer in der Stadt überhaupt nichts los war. Ich hatte auf meinem Arbeitsweg nach Heidelberg immer die Studenten, die auf den Neckarwiesen entspannten und musizierten, beobachtet und dachte: Brandenburg an der Havel hat ja auch einen Fluss – da ist bestimmt etwas los. Weit gefehlt; das kam erst mit den Kaffeehäuschen. Vielleicht haben wir einfach zu viel Grünfläche, zu viele schöne Plätze hier, als dass das Havelufer in der damals noch nicht so schönen Innenstadt attraktiv gewesen wäre. Tatsächlich etwas befremdet war ich allerdings von der Gegend um die Gutenbergstraße, wo unser Büro damals war. Später sind wir in die Hauptstraße umgezogen, wo wir bis heute sitzen.

 

Du lebst mittlerweile seit mehr als 25 Jahren in der Havelstadt. Bist du Badenerin oder Brandenburgerin?

Ich glaube schon eher Brandenburgerin. Wenn ich nach Hoffenheim fahre, dann bin ich zu Besuch dort; wenn ich nach Brandenburg an der Havel komme, fahre ich heim.

Was macht diese neue Heimat aus?

Mein Mann und ich haben vor einigen Jahren gebaut. Zum Richtfest haben unsere Freunde uns ein Schild geschenkt: „Zuhause ist da, wo das Herz ist.“ Und mein Herz ist hier. Ich habe hier meinen Partner gefunden, viele tolle Freunde und nette Bekannte.

 

Deinen badischen Dialekt hast du beibehalten. Warum?

Ich bin aus Hoffenheim, wo ich meinen Dialekt herhabe, bin immer nach Heidelberg zur Arbeit gefahren. Mein Chef dort hat jeden Satz, den ich gesagt habe, auf Hochdeutsch wiederholt. Das hat mich so sehr geprägt, dass ich damals gesagt habe: Mein Dialekt gehört zu mir, den will ich nicht abstellen. Seitdem pflege ich ihn regelrecht.

Mein Dialekt gehört zu mir, den will ich nicht abstellen.

Wirst du oft darauf angesprochen?

Natürlich. Am Telefon fragen die Leute früher oder später: „Aber Sie sind keine Brandenburgerin, oder?“ Es gab sogar Brandenburger, die gesagt haben: „Warum können Sie sich nicht umstellen? Meine Tochter wohnt seit zwei Jahren in Karlsruhe und spricht schon Badisch – Sie können es noch immer nicht lassen.“

 

Den Brandenburger Dialekt anzunehmen stand für dich nie zur Debatte?

Ich finde den Brandenburger Dialekt total schön und höre den Brandenburgern sehr gern zu – meinem Mann zum Beispiel. Aber wenn ich versuche, selbst zu brandenburgern, klingt das fremd – ebenso ist es übrigens mit Hochdeutsch.

 

Hast du einmal überlegt, wieder zurückzugehen nach Baden?

Ja, ich habe lange Zeit gedacht, dass ich irgendwann wieder zurückgehe – vor allem um 2002 herum hatte ich so eine Phase. Es gab einen Umbruch in der Geschäftsführung, ich war mittlerweile über 40 und dachte: Wenn ich noch einmal wechseln will, wird es später nicht einfacher.

 

Warum hast du dich fürs Bleiben entschieden?

Damals wegen des Jobs. Ich habe hier immer gern gearbeitet – auch, weil es ständig neue Herausforderungen gab. Und nachdem ich hier 2007 schließlich auch meinen Mann kennengelernt hatte, stellte sich die Frage nicht mehr. Meine Familie und meine besten Freundinnen sind zwar in Baden und es hat tatsächlich eine Weile gedauert, aber mittlerweile bin ich hier wirklich angekommen in der Stadt Brandenburg.

 

Warum hat es eine Weile gedauert?

Vielleicht, weil die Menschen anfangs nicht ganz so offen waren. Als ich herkam, habe ich jedem Guten Tag gesagt, wenn ich durch die Straße gelaufen bin – die Leute haben sich dann oft regelrecht verdutzt umgeschaut, ob ich wirklich sie meine. Wenn man hier allein in eine Gaststätte geht, sitzt man da allein und geht hinaus, ohne ein Wort gesprochen zu haben, wenn man nicht selbst jemanden anspricht. Aber ich glaube, die Leute werden offener – vielleicht hatte es damals auch etwas mit mir selbst zu tun, weil man als jüngerer Mensch nicht so angesprochen wird.

Mittlerweile bin ich wirklich angekommen in der Stadt Brandenburg.

Das hat dich damals nicht verschreckt?

Nein, ich bin wegen der Arbeit hergekommen – und die hat mir viel Freude gemacht. Ich arbeitete in meiner Heimat als Bilanzbuchhalterin in einem US-amerikanisch durchstrukturierten Unternehmen. Dort war alles vorgegeben. Meine Aufgabe hier war viel freier, viel offener: Ich musste und durfte völlig neu gestalten. Außerdem war ich eine der Ersten in Brandenburg an der Havel, die sich Nordic-Walking-Stöcke zugelegt hat. Wenn man damit um den Gördensee gelaufen ist, kam man immer ins Gespräch – weil sich alle gewundert haben, dass man zu Fuß mit Skistöcken unterwegs ist, obwohl gar kein Schnee liegt. Da hat man die Brandenburger immer gekriegt (lacht). Die Leute sind aber grundsätzlich auch offener geworden, nett sind sie sowieso.

 

Könntest du dir vorstellen, irgendwann doch wieder nach Baden zurückzugehen?

Vielleicht wenn meine sozialen Bindungen hier weg­bre­chen würden. Abgesehen davon sehe ich aber keinen Grund. Die Stadt Brandenburg ist wunderschön – auch unsere Innenstadt ist toll: Wir haben wunderschöne Häuser, den Theaterpark, den Wall. Wer hat so etwas schon? Schade finde ich, dass das immer ein bisschen niedergeredet wird von den Brandenburgern. Anfang der 90er-Jahre war Brandenburg an der Havel vielleicht tatsächlich noch nicht so schön, aber das hat sich geändert.

 

Welche Orte in Stadt und Umgebung sind für dich persönlich die schönsten?

Als ich 1993 hier ankam, war für mich der Marienberg einer der schönsten Plätze. Links neben der Friedenswarte steht eine Bank unter einem Baum, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Stadt hat – das hat mich aufgebaut, wenn es mir mal nicht so gut ging. Wenn ich heute eine Auszeit brauche, radele ich zum Fuchsbruch und laufe von dort am See entlang Richtung Klein Kreutz. Irgendwann kommt man auf eine kleine Anhöhe, von der aus man die weite Landschaft wundervoll überblicken kann.

 

Welche Angebote in der Stadt selbst nutzt du?

Zu wenige. Als ich Single war, habe ich mich oft mit Freundinnen in der Stadt getroffen, bin ins Kino gegangen oder zum Sport, war an der Malge oder im Freibad am Marienberg. Mit den Kollegen sind wir durch die Gaststätten gezogen – ich kannte damals jede einzelne in der Stadt. Mit einem Partner ändert sich so etwas natürlich, da genießt man dann lieber die Stunden zu zweit. Aber ich habe mir gerade ein Stand-up-Paddling-Board gekauft und bin damit gern auf dem Beetzsee unterwegs. Außerdem liebe ich den Wochenmarkt an der St.-Katharinenkirche; da gehe ich gern einkaufen – ich mag es, dort mit Leuten ins Gespräch zu kommen.

Was mir auch fehlt, ist eine richtige Fußgängerzone.

Was fehlt aus deiner Sicht in Brandenburg an der Havel?

Dass man das Vereinsleben auch ein bisschen in der Innenstadt spürt. In Baden treibt man zusammen Sport und geht anschließend noch etwas trinken. Hier habe ich eine von zwanzig Teilnehmerinnen in meinem Step-Aerobic-Kurs, den ich vor einigen Jahren gemacht habe, überzeugen können, danach noch auf ein Bier mitzukommen. Was mir auch fehlt, ist eine richtige Fußgängerzone. Ich glaube, es würde der Stadt viel bringen, wenn die Straßenbahn nicht zweispurig durch die Hauptstraße fahren würde. Das hätte den schönen Effekt, dass man laufen müsste und sehen könnte, was für schöne Geschäfte wir hier haben. Viele sehen sie gar nicht mehr, weil sie immer nur an ihnen vorbeifahren.

 

Wenn du einen Wunsch frei hättest für die Stadt, der sofort in Erfüllung ginge: Welcher wäre das?

Dass die lokalen Geschäfte mehr Zulauf haben, insgesamt mehr Leben in der Hauptstraße ist – das wäre wichtig für die Stadt. Wir hatten hier schon so tolle Boutiquen, Parfümerien – einige haben sich zum Glück gehalten. Ich verstehe nicht, dass viele Brandenburger zum Einkaufen nach Berlin oder Magdeburg fahren. Wir müssen die Stadt auch selbst bunt und lebendig halten, indem wir die Brandenburger unterstützen.

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