Es hatte etwas Fundamentales, zu sagen: „Ich komme zurück!“

Chris Blankenburg
Mit zwölf Jahren verließ Chris Blankenburg seine Heimatstadt Brandenburg, um Profifußballer zu werden. Er lernte viele Städte kennen und wurde das erste Mal in Halle an der Saale sesshaft. Trotz aller Veränderungen blieb die Sehnsucht nach der Heimat jedoch bestehen. Seit 2017 wohnt der mittlerweile 28-jährige Chris wieder in Brandenburg an der Havel.

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Chris, du wurdest in Brandenburg geboren und hast die Stadt im Alter von zwölf Jahren verlassen. Ganz allein. Wie kam es dazu?
Ich bin des Sports wegen aus Brandenburg weggezogen. Ich war Leistungssportler im Fußball, startete beim Brandenburger Sport- und Ruderklub und landete beim Halleschen FC in der Dritten Bundesliga. So war ich in verschiedenen Städten unterwegs. Anfangs besuchte ich ein Sportinternat in Frankfurt an der Oder, danach in Fürth, Erfurt, Berlin, Leipzig und meine letzte Station war dann Halle an der Saale. Dort wurde ich auch das erste Mal so richtig sesshaft.

 

Das heißt, Halle an der Saale war dein erstes richtiges Zuhause?
Mein Zuhause hat sich grundsätzlich stets verschoben. In Halle war ich sportlich stark eingebunden, hatte Wettkampfperioden und saß unter der Woche von früh bis spät in der Schule oder trainierte. An den spielfreien Wochenenden besuchte ich regelmäßig Brandenburg an der Havel. Nach dem Ende meiner Fußballkarriere absolvierte ich in Halle an der Saale eine Lehre zum Bürokaufmann und führte dort nebenher gemeinsam mit Freunden eine Bar.

 

Was sind deine Kindheitserinnerungen an die Stadt Brandenburg?
Das fängt bei mir natürlich mit dem Sport an (lacht). Vom Fenster der Wohnung meiner Eltern im Stadtteil Nord konnte ich damals auf den Sportplatz des BSC Süd 05 schauen. Dieser Schotterplatz brannte sich in meine Gedanken ein. Jedoch nicht nur die Kulisse, auch das Geschehen auf dem Platz und das Drumherum: die Fußballer, die Zuschauer bei den Spielen – einfach alle Menschen, die den Verein zu dem machen, was er ist. Der Verein begleitete mein Heranwachsen und ich verfolgte alles, auch als ich nicht mehr in Brandenburg an der Havel lebte.

Ich habe alles vermisst.

Was hast du in den Jahren der Abwesenheit vermisst?
Mein Kinderzimmer, das Treffen mit meinen Freunden und den Sportplatz, den ich, wie gesagt, immer vor Augen hatte. Mit dem Boot über die Havel zu schippern fehlte mir aber genauso wie ein Ausflug in die Umgebung der Stadt, beispielsweise zum Eisessen nach Brielow zu fahren. Ich habe alles vermisst.

 

Du würdest also Brandenburg an der Havel trotz deiner unterschiedlichen Lebensstationen als Heimat bezeichnen.
Absolut! Ich verbinde so viel mit der Stadt und dem, was ich dem Begriff Heimat zuordne. Vor allem ist das meine Familie, d.h. meine Eltern, Onkel und Tanten, die hier leben.

 

Hast du Veränderungen in der Stadt wahrgenommen?
Auch wenn ich stets nur kurz hier sein konnte, habe ich Brandenburg an der Havel innerhalb dieser Momente intensiv erlebt. Es wurde immer wieder viel erneuert, in der Stadt und auch im Umland. Die Einweihung neuer Bolzplätze beispielsweise, die Restaurierung alter Gebäude, die Aufwertung der Fluss- und Seenlandschaft – das alles schien für mich aus dem Nichts zu kommen. Auf einmal war Brandenburg eine lebenswerte Wasserstadt, in der sich plötzlich viel am und auf den Gewässern abspielte. So reifte auch die Überlegung, wieder hierher zurückzukehren.

Tatsächlich wohnst du seit 2017 wieder in der Stadt Brandenburg. Was überzeugte dich schlussendlich zur Rückkehr in die Heimat?
Der Grund war hauptsächlich familiärer Natur. Ich verbrachte einen Großteil meines bisherigen Lebens in der Obhut fremder Menschen. An den Feiertagen kam ich nach Hause und traf auf vertraute Gesichter, die ich mitunter zwei Jahre nicht gesehen hatte. Meine Verwandten gründeten Familien, meine Mutter zog mehrmals um – das konnte ich nicht begleiten. Es hatte aber schon etwas Fundamentales, zu sagen: Ich gehe zurück zu meiner Familie und in meine Heimatstadt. Gerade, weil ich in Halle an der Saale alles hatte. Das Umfeld dort war mir ans Herz gewachsen. In meiner Wohngegend kannte ich jeden, vom Bäcker bis zum Schneider.

 

Wie ging es für dich in Brandenburg an der Havel beruflich weiter?
Nach der Rückkehr begann ich ein duales Studium zum Fitness- und Betriebswirt. Die Arbeit in meinem Ausbildungsberuf war mir zu wenig, ich wollte mich neu orientieren. Schlussendlich habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und leite nun den Vertrieb eines Fitnessstudios in der Brandenburger Neustadt. Durch das Studium erlebe ich den Sport von einer anderen Seite. Ich mache das, was mir Spaß macht und habe nicht nur Zeit für bisherige Familienmitglieder, sondern denke langsam selbst an Nachwuchs.

 

Wie lange hat es gedauert, bis du in deiner Heimat wieder richtig angekommen bist?
Tatsächlich länger als erwartet. Ich bin ein sehr kommunikativer Mensch, Kontakte zu hegen und zu pflegen ist für mich kein Problem. Auch neue Leute kennenzulernen ist kein Hindernis. Doch es dauerte etwa ein Dreivierteljahr, bis ich hier angekommen war. Da spielten viele Faktoren hinein. Beruflich war ich stark eingebunden, musste mich erst einmal finden und die Sesshaftigkeit für mich entdecken. Es wäre allerdings falsch zu sagen, dass der Brandenburger nur für sich lebt. Im Gegenteil, er kann sehr offenherzig sein.

Es dauerte etwa ein Dreivierteljahr, bis ich hier angekommen war.

Wie ist deine Erfahrung, gehen Brandenburger auf Fremde zu?
So habe ich meinen mittlerweile engsten Freund kennengelernt. Im Altstadtpub setzten sich eines Abends zwei Fremde zu mir an den Tisch. Mit ihnen entwickelte sich schnell ein Gespräch, das mit einem der beiden die ganze Nacht andauerte. In der folgenden Woche trafen wir uns wieder im Pub. Erst zufällig, dann regelmäßig. Mittlerweile sind wir nicht nur befreundet, sondern arbeiten auch gemeinsam.

 

Du hast viele Städte kennengelernt und dort gelebt. Was macht Brandenburg an der Havel für dich einzigartig?
Brandenburg ist für mich in erster Linie eine Vorzeigestadt, wenn es ums Wasser geht. Diese Verbindung von natürlichen Gewässern und urbanem Raum haben nur wenige deutsche Städte zu bieten. Das wird an der Jahrtausendbrücke deutlich. Auf der Brücke selbst, daneben und auf der Havel spielt sich unheimlich viel ab. Zudem finde ich es genial, dass man einige der Brandenburger Gastronomien oder auch Einkaufsmöglichkeiten vom Wasser aus erreichen kann. Allerdings hat man hier auch jederzeit die Möglichkeit, dem Trubel zu entgehen. Ich mag die Ruhe und bin gern mal für mich allein. Diese unterschiedlichen Optionen lernte ich zu nutzen und zu lieben.

 

Als ehemaliger Betreiber einer Bar in Halle hast du das dortige Nachtleben mitgestaltet. Wie siehst du die Möglichkeiten für Brandenburger Nachtschwärmer?
Der Fontane-Klub, den ich vor meiner Rückkehr nicht kannte, ist Treffpunkt für Jung und Alt. Der Studentenkeller und das Haus der Offiziere, der Altstadtpub, die Agentenzentrale, die Turbine – die unterschiedlichen Angebote nach und nach als Zuzügler zu erleben, war aufregend und überraschend.

 

Gibt es etwas, was du dir für die Zukunft der Stadt Brandenburg wünschen würdest?
Wir haben eine ziemlich geile Stadt. Doch die vorhandenen Lokale und das Kino in der Innenstadt sind mir zu wenig. Meiner Meinung nach existiert in der Stadt eine Nachfrage, die momentan noch nicht gedeckt wird. Nicht nur das Landschaftliche, sondern auch das Kulturelle machen eine Stadt attraktiv. Und dieses Programm sollte jeden ansprechen, auch die Jüngeren. Sonst ziehen irgendwann nur noch Berliner Senioren her, die zur Ruhe kommen wollen. Dementsprechend sollten alle Altersgruppen angesprochen werden. Das verdient die Stadt. Denn Brandenburg an der Havel hat coole Seiten, coole Menschen und damit es hier nicht langweilig wird, sollte es vielfältigere Angebote geben.

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